Bundesverfassungsgericht urteilt zu Fixierungen in der Psychiatrie

"Es liegt an uns, Aufklärungsarbeit zu leisten."

von Lukas Wilke

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Am 24. Juli 2018 hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass Patienten in psychiatrischen Einrichtungen nur noch mit richterlicher Anordnung fixiert werden dürfen, sollte die Zwangsruhigstellung die Dauer von einer halben Stunde absehbar überschreiten. Geklagt hatten zwei Patienten aus Bayern und Baden-Württemberg, die während ihrer Unterbringung über einen längeren Zeitraum fixiert worden waren. Über die Herausforderungen und Chancen des Urteils haben wir mit Markus Wakulat, Leiter Unternehmenskommunikation des Landeskrankenhauses (AöR) und seiner Einrichtungen in Rheinland Pfalz, gesprochen.

 

kliniksprecher.de: Lieber Herr Wakulat. Wie stehen Sie zu dem Urteil zur Fixierung von Patienten in der öffentlich-rechtlichen Unterbringung?

 

Wakulat: Wir begrüßen das Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Das Urteil schafft für Ärzte und Pflegende auf den Stationen unserer Einrichtungen Rechtssicherheit. Es entlastet die Kollegen und hilft, Vorurteile abzubauen. Jetzt kann keiner mehr behaupten, dass die Allgemeinpsychiatrie und der Maßregelvollzug rechtsfreie Räume seien.

 

kliniksprecher.de: Solche Vorurteile entstehen ja auch oder gerade dadurch, dass in der medialen Berichterstattung nicht immer sauber differenziert wird.

 

Wakulat: Ja das stimmt, wobei ich den einzelnen Medienvertretern nicht mal einen Vorwurf machen kann. Von jemandem, der als Mittler zwischen Fachleuten und der Allgemeinheit agieren soll, kann man zwar erwarten, dass er sich etwas genauer informiert. Aber das ist zum Bespiel gerade beim Thema Fixierungen relativ schwierig, da gleich mehrere verschiedene Gesetzesgrundlagen eine Rolle spielen. Und sich damit in der Tiefe auseinanderzusetzen, wie wir das tun müssen, ist angesichts des Zeitdrucks, den Journalisten heutzutage haben, nicht immer möglich. Von daher habe ich da in gewisser Weise Verständnis für. Im Umkehrschluss liegt es aber dann auch an uns, die nötige Aufklärungsarbeit zu leisten und Vertrauen herzustellen. Denn viele Menschen hoffen ja geradezu, dass sie niemals etwas mit der Psychiatrie zu tun haben. Wir müssen es schaffen, solche Ängste abzubauen.

 

kliniksprecher.de: Durch das Urteil erfährt das Thema Fixierung nun eine besondere Aufmerksamkeit in den Medien und in der Gesellschaft. Bietet das nicht eine gute Chance, um Aufklärungsarbeit zu leisten?

 

Wakulat: Wie die Erfahrung leider zeigt, sind es in der Regel spezielle Anlässe, die diese Themen für die Medien interessant machen. Einen Beitrag über die Aufgaben des Maßregelvollzugs zu platzieren, ist im Normalbetrieb schwer zu realisieren. Wenn aber gerade ein Patient geflohen ist, dann ist das Thema für die Medien hochinteressant. Und an diesem Punkt – auch das hat die Erfahrung gezeigt – können wir mit unserer Aufklärungsarbeit ansetzen. Dann können wir die Medien einladen und sagen: "Ja dann kommt doch mal zu uns und berichtet über den Maßregelvollzug". Beim Thema Fixierung ist das jetzt genauso. Inwieweit wir da etwas Konkretes umsetzen können muss man sehen. Aber grundsätzlich ist das eine große Chance.

 

kliniksprecher.de: Ob und wie das gelingen kann, hängt doch vermutlich auch davon ab, wie das Urteil genau umgesetzt werden soll. Denn wie Sie im Vorfeld unseres Gesprächs bereits erwähnt hatten, muss das Landesgesetz für psychisch kranke Personen in Rheinland-Pfalz entsprechend angepasst werden.

 

Wakulat: Auf die Umsetzung der Gesetzgebung dürfen wir nicht warten. Die Kollegen stehen bereits heute im intensiven Austausch mit den Gerichten, um gemeinsame, alltagstaugliche Lösungen zu finden.

 

kliniksprecher.de: Vermutlich wird es in Zukunft dann einen Bereitschaftsdienst von Seiten des Gerichts geben müssen, der in entsprechenden Situationen kontaktiert wird?

 

Wakulat: Das ist sehr wahrscheinlich. Letztlich müssen unsere Einrichtungen mit dem für sie zuständigen Gericht praktikable Lösungen finden, denn umgesetzt werden muss das Urteil. Am Ende ist für uns vor allem eins wichtig: Es muss einen verbindlichen Ansprechpartner geben!

 

kliniksprecher.de: Nun ist ja zumindest das Szenario vorstellbar, dass in einer Akutsituation niemand zu erreichen wäre. Eine Fixierung wäre ohne richterliche Anordnung aber nur noch bis zu einer halben Stunde erlaubt. Wie gehen Sie mit diesem Konflikt um?

 

Wakulat: Ja, das stimmt. Das ist auch der Grund, warum die Kollegen schon jetzt intensiv an Lösungen arbeiten, um solche Szenarien möglichst nicht auftreten zu lassen. Logischerweise könnte es aber trotz aller Absprachen immer noch zu diesem Fall kommen. Denn die Karenzzeit, die man uns da gewährt, ist äußerst knapp. Aber kommen wir nochmal darauf zurück, was wir eingangs gesagt haben: Wir werden entlastet und deswegen finden wir das Urteil auch gut. Wir müssen die hohe gesellschaftliche Verantwortung nicht mehr alleine tragen. Zu den anderen Aspekten: Ja, das sind Probleme, aber die sind operativer Natur, die müssen wir lösen. Das müssen wir hinkriegen. Aber dazu sind wir auch gerne bereit, weil die Basis eben gut ist.

 

kliniksprecher.de: Neben der Fixierung gibt es auch noch andere Zwangsmaßnahmen wie beispielsweise die Isolierung, die von dem Urteil jedoch nicht betroffen ist. In Fachkreisen wird die Isolation von Patienten aber teilweise als ähnlich gravierend eingeschätzt. Besteht nicht die Gefahr, dass nun einfach verstärkt auf Isolierungen zurückgegriffen wird?

 

Wakulat: Ja, natürlich. Auch das ist eine erhebliche, wenn auch nicht genauso große Einschränkung. Aber in dem Urteil geht es tatsächlich nur um Fixierungen. Das wird beispielsweise von Land zu Land unterschiedlich gehandhabt. In Deutschland ist in Akutsituationen eher die Maßnahme der Fixierung üblich, während man in den Niederlanden vermehrt auf Isolierungen zurückgreift. Dafür muss man aber dann natürlich auch entsprechende Räume vorhalten, was so nicht überall gegeben ist. Das eine Allheilmittel gibt es also nicht. Ich glaube aber, dass aufgrund dieses Urteils alle Beteiligten noch etwas hellhöriger sein werden. Was natürlich nicht heißt, dass nicht auch vor diesem Urteil zuerst alle therapeutischen und deeskalierenden Maßnahmen ausgeschöpft worden wären. Die Fixierung ist vorher das allerletzte Mittel gewesen und das ist sie auch weiterhin, daran ändert sich nichts. Die Konzepte in unseren Kliniken liegen schon jetzt gar nicht so weit weg von dem, was das Bundesverfassungsgericht fordert.

 

kliniksprecher.de: Wo sehen Sie weitere Schwierigkeiten bei der Umsetzung des Urteils?

 

Wakulat: Da das Urteil eine 1:1-Betreuung von Patienten während ihrer Fixierung beinhaltet, rechnen wir bei der Umsetzung mit einem Mehraufwand in der Betreuung, vor allem aber in der Dokumentation und Administration. Dieser Mehraufwand wird vermutlich nur mit mehr Personal zu bewerkstelligen sein. Leider bewegen wir uns da auf einem sehr engen Markt. Wir müssen verschiedene Möglichkeiten herausfiltern, um den Anspruch, dem wir uns verpflichtet sehen und den die Gesellschaft an uns hat, erfüllen zu können.

 

 

© Bild: Bundesgerichtshof | Nikolay Kazakov

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